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9/25/2020

Decision Trees in Äthiopien

Wie der Münchner Optimierungsspezialist die Wasserbewirtschaftung des afrikanischen Wachstumschampions optimiert

Denkt man Wasserkraft, dürften vor den inneren Augen der Allermeisten Pumpspeicherkraftwerke in den Alpen oder Laufwasserkraftwerke entlang der größeren europäischen Flüsse auftauchen.

Ein Land, das dagegen die wenigsten mit dieser erneuerbaren Energiequelle verbinden dürften, ist Äthiopien. Während der afrikanische Staat vielen nur als Ursprungsland des Kaffees oder noch aufgrund größerer Hungersnöte bekannt ist, hat er in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Sprung gemacht. Fundament dieser Entwicklungist bereits seit vielen Jahren der forcierte Ausbau von Wasserkraft.

Infolgedessen gibt es in Äthiopien auch einen großen Bedarf und immenses Potential für die Optimierung der Kraftwerke und des Leitungssystems. Während der Grund für eine Optimierung bei den meisten europäischen Kraftwerksbetreibern meist die Gewinnmaximierung ist, stehen beidem äthiopischen Kraftwerks- und Übertragungs- und Leitungsnetzbetreiber jedoch grundlegende Aspekte wie die möglichst effiziente Nutzung des zur Verfügung stehenden Wassers und die Gewährleistung einer möglichst weitreichenden Grundversorgung im Vordergrund.

Angesichts der immensen Relevanz der Versorgungssicherheit für die Bevölkerung und die Entwicklung Äthiopiens, freuen wir uns, dass wir den staatlichen äthiopischen Energieversorger Ethiopian Electric Power mit unserem Know-how bereits seit einigen Monaten erfolgreich unterstützen können. Im Folgenden geht es daher um die Entwicklung, die Äthiopien in den vergangenen Jahren vollzogen hat und wie dies dazu führte, dass Decision Trees mittlerweile Teile der Wasserkraft-Infrastruktur des afrikanischen Staates modelliert und optimiert.

Vom Krisenstaat zum Wachstumsstar

Dank ambitionierter Infrastrukturprojekte hat Äthiopien in den vergangenen Jahren eine rasante Wirtschaftsentwicklung erlebt und entwickelt sich unaufhaltsam zum Schwellenland.

Innerhalb von nur zehn Jahren avancierte das Land so vom Armenhaus Afrikas zum neuen Wachstumsstar des Kontinents. Seit 2005 legt die Wirtschaft des Landes im Schnitt zwischen acht und zehn Prozent pro Jahr zu. Damit zählte sie in den vergangenen Jahren zu den am schnellsten wachsenden der Welt.

Auch andere Zahlen zeigen, welch rasante Entwicklungdas Land in den vergangenen Jahren genommen hat. Beispielsweise nahm die Kindersterblichkeit in den vergangenen 20 Jahren drastisch ab. Während die Einschulungsrate bereits 2015 bei beeindruckenden 85 Prozent lag, sank der Anteil der in extremer Armut Lebenden auf 26 Prozent. Forciert wird diese Entwicklung in den letzten Jahren durch den neuen Premierminister und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed, der das Ziel ausgerufen hat, dass Äthiopien ab 2025 nicht mehr zu den sogenannten Entwicklungsländern zählt.

Mit 5-Jahresplänen und Marktöffnung auf der Überholspur

Die Regierung setzt bei der Planung des Aufschwungs auf Fünfjahrespläne, mit deren Hilfe sie Prioritäten definiert und umsetzt. Beim noch bis zum Ende dieses Jahres laufenden „Growth and Transformation Plan II“ (GTP 2) handelt es sich bereits um den vierten Entwicklungsplan seit 1995.

Der gerade noch aktuelle GTP 2 forciert insbesondere den Infrastrukturausbau, um in der Folge Auslandsinvestitionen anzulocken. Als Mittel hierfür dienen insbesondere staatlich geförderte Industrieparks. Die Regierung plant die Anzahl dieser derzeit zehn Anlagen bis2025 auf 30 zu erhöhen.

Die Öffnung zum Weltmarkt mit Hilfe dieser Parks hat sich bislang für das Land voll ausgezahlt: Äthiopien, das flächenmäßig dreimalso groß ist wie Deutschland und mit 90 Millionen Einwohnern nach Nigeria der bevölkerungsreichste Staat Afrikas ist, zählt mittlerweile mit einem BIP von 91 Milliarden US-Dollar zu den größten fünf Volkswirtschaften in Subsahara-Afrika.

Wachsender Stromhunger und ambitionierte Pläne für den Kraftwerksausbau

Analog zur boomenden Wirtschaft und der Bevölkerung wächst auch der Stromhunger kontinuierlich sehr stark an. Hatten 2014 noch nur ca. 27% der Haushalte Zugang zu Strom, waren es Mitte 2016 schon knapp 60%. Die äthiopische Regierung geht in Folge des Wachstums und voranschreitenden Fortschritts von einem jährlich um 30% wachsenden Energiebedarf aus. Dies resultiert in einem enormen Bedarf an neuen Kraftwerken. Dennoch setzt das Land nahezu ausschließlich auf erneuerbare Energien.

Denn ein Bestandteil der Pläne für das Wirtschaftswachstum und den Ausbau der Infrastruktur ist ebenfalls der Anspruch, den elektrischen Strom im Land klimaneutral zu produzieren und in weiterer Folge auch damit zu handeln und ihn zu exportieren. Zugute kommen dem Land dabei seine äußerst günstigen geographischen Voraussetzungen, die die Erzeugung verschiedenster Erneuerbarer Energien begünstigen.

Wasserkraft als Grundpfeiler der staatlichen Energieversorgung

Insbesondere die Wasserkraft spielt in den Plänen der derzeitigen Regierung eine zentrale Rolle, den wachsenden Strombedarf zu decken. Auch wenn der Blaue Nil als der wichtigste und größte Fluss Äthiopiens die Hälfte der potenziell nutzbaren Wasserenergie des Landesaufweist, versorgt er aufgrund geografischer Beschränkungen nur vergleichsweisewenig Wasserkraftwerke.

Erschwerend kommen Beschwerden von Anrainerstaaten, insbesondere Ägypten, hinzu, die Auswirkungen von Wasserkraftwerken auf ihre eigene Wasserversorgung befürchten.

Da Äthiopien sehr gebirgig ist, existieren jedoch ausreichend alternative Möglichkeiten zur Erzeugung von Elektrizität durch Wasserkraft. Dank des vergleichsweise hohen Regenaufkommens konzentrieren sich die Wasserkraftwerke auf der südlichen und der westlichen Seite und im Zentrum des Hochlandes von Abessinien.

Gemäß des äußerst ambitionierten Elektrifizierungsprogramms sollte sich allein die installierte Leistung aus Wasserkraft im Zeitraum von 2009-2015 ursprünglich von rund 2000 MWe auf 10.000MWe verfünffachen.

Dieses Ziel konnte jedoch bei weitem noch nicht erreicht werden. Zum jetzigen Zeitpunkt liegt die gesamte installierte Leistung der Wasserkraftwerke bei 3821,6 MW. Für Entlastung sorgte dabei insbesondere die Fertigstellung des Wasserkraftwerks Gilgel Gibe III. Das ca. 300 km südwestlich von der Hauptstadt Addis Abeba gelegene Kraftwerk ist mit einer Leistung von 1.870 MW derzeit das größte Kraftwerk des Landes und nachdem Assuan-Staudamm das zweitgrößte Wasserkraftwerk des Kontinents.

Der Grand Ethiopian Renaissance Dam – ein umstrittenes Prestigeprojekt

Die größte Hoffnung für Äthiopiens Stromversorgung ruht auf einem sich noch im Bau befindlichen Staudammprojekt der Superlative – dem Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD), dessen Fertigstellung für 2022 geplant ist und der der zuletzt wegen der Streitigkeiten mit den Anrainerstaaten sehr präsent in den Nachrichten war.

Bei dem sich seit 2011 im Bau befindliche Kraftwerk, mit einer geplanten nominellen Maximalleistung von 6000 MWe, handeltes sich um ein nationales Prestigeprojekt. Dass auf ihm die Hoffnungen des Landes ruhen, wird nicht zuletzt an seinem äthiopischen Namen deutlich, der übersetzt „Große Talsperre der äthiopischen Wiedergeburt“ bedeutet.

Aufgrund der Streitigkeiten mit den Anrainerstaaten und der daraus resultierenden juristischen Lage musste das Projekt von der äthiopischen Regierung komplett allein bezahlt werden und beansprucht daher einen Großteil des Staatshaushaltes. Der seit vielen Jahren bestehende Konflikt um das Wasser des Blauen Nils, die Lebensader der Region, kochte zuletzt hoch, als auf äthiopischer Seite damit begonnen wurde, das Reservoir des GERDs zu füllen. Die Nachbarstaaten sind misstrauisch, da das Tempo, mit dem dies geschieht, unmittelbaren Einfluss darauf hat, wieviel Wasser in den Sudan und nach Ägypten fließt. Mehr als 100 Millionen Menschen sind auf die Wasserversorgung durch den Blauen Nil abhängig, wodurch es sich bei dem Staudamm um mehr als ein Mittel zur Stromgewinnung handelt.

Nach seiner Fertigstellung wird es sich beim GERD um das größte (Wasser-)Kraftwerk Afrikas handeln, auch wenn Experten davonausgehen, dass es aufgrund der durchschnittlichen Fließgeschwindigkeit des Blauen Nils im Jahresdurchschnitt nur rund 3000 MWe produzieren wird.

Großer Optimierungsbedarf der komplexen Kraftwerkslandschaft

Neben dem kosten- und zeitintensiven Neubau von Kraftwerken rückt jedoch insbesondere auch die Optimierung der vorhandenen Wasserkraftwerke immer stärker in den Fokus der äthiopischen Regierung.

Dabei unterscheiden sich die Gründe, aus denen der äthiopische Erzeugungspark optimiert werden soll, deutlich von denen, wegen denen Kraftwerksbetreiber in Europa dies tun. Da diese in einem System mit einem voll ausgebauten Leitungssystem und etablierten Strommärkten agieren, steht der Fokus von Optimierungen in den allermeisten Fällen klar auf der Gewinnoptimierung. In Äthiopien dagegen lautet das oberste Ziel Minimierung von Wasserverlusten. Überläufe sollen vermieden und Turbinen mit der bestmöglichen Effizienz betrieben werden. Auch der GERD ist ein gutes Beispiel für die abweichenden Anforderungen – so bedarf es einer Optimierung, die die bestmögliche Bewirtschaftung dieses Kraftwerkes ermöglicht und dabei bestimmte Abflussmengen garantiert, damit die stromabwärts gelegenen Anrainerstaaten nicht durch die Talsperre beeinträchtigt werden.

Gleichzeitig steht die Optimierung der gesamten Stromerzeugung des Landes im Fokus – einerseits geht es dabei um die Standorte von neu zu planenden Wasserkraftwerken und wie durch eine möglichst ideale Standortwahl die Entfernung zu Verbrauchern möglichst minimiert werdenkann, um Leitungsverluste zu vermeiden. Andererseits ist bereits jetzt klar,dass sich der enorme Strombedarf Äthiopiens nicht ausschließlich mit der Hilfevon Wasserkraft stillen lassen wird. Daher gibt es bereits seit längerem Bestrebungen, die Erneuerbaren Energiequellen des Landes zu diversifizieren. Dazu muss jedoch auch deren Einbindung berücksichtigt und im Vorfeld anhand von Modellen zur Ausbauplanung optimiert werden.

Angesichts der komplexen Kraftwerkslandschaftund der weitverzweigten Leistungsnetzwerkes handelt es sich dabei um eine beträchtliche logistische Aufgabe.

Münchner Optimierungs-Know-how für Addis Abeba

Schnell war den Verantwortlichen der Ethiopian Electric Power, dem staatlichen äthiopischen Kraftwerksbetreiber und Übertragungsnetzbetreiber, klar, dass sie für die Modellierungen und Optimierungen dieses riesigen Systems ausgewiesene Expertenbenötigen würden. Bei der Suche orientierte man sich angesichts der dortigen umfangreichen Erfahrungen auf diesem Gebiet bald Richtung Europa. Dort wiederum stießen die Verantwortlichen bei ihrer Suche nach Experten für die Optimierung von komplexen Kraftwerksparks und Leitungssystemen schnell auf Decision Trees.

Im Rahmen des noch laufenden Projektes wurde unter anderem ein Testsystem angelegt, das Teile des Erzeugungsparkes abbildet und optimiert. Darunter unter anderem eine Kaskadedes Gilgel Gibe III Kraftwerksystems. Damit ist ein erster Schritt getan, doch bis sich der Fokus der Optimierung auch in Äthiopien vorwiegend auf die Gewinnoptimierung richten kann, sind noch zahlreiche weitere Schritte notwendig.

Screenshot von einer der in DT.Energy abgebildeten Kaskaden des Gilgel-Kraftwerkes

„Es handelt sich dabei um kein alltägliches Projekt und angesichts der zahlreichen damit verbundenen Implikationen für die weitere Entwicklung Äthiopiens sicherlich auch um eine ganz besondere Herausforderung. Doch gerade vor dem Hintergrund der besonderen Tragweite des Projektes mussten wir nicht zweimal überlegen, als wir angefragt wurden, ob wir Ethiopian Electric Power mit unserer Optimierungs-Expertise unterstützen könnten.

Auch wenn das Projekt noch nicht abgeschlossen ist, lässt sich bereits jetzt festhalten, dass wir bereits große Fortschritte gemacht haben und auf Basis unserer Modelle und Optimierungen schon jetzt Leitungsverluste signifikant reduziert und die Bewirtschaftung von Wasserkraftwerken deutlich verbessert wurde. Besonders hervorzuheben ist auch das Potenzial, das unsere Modelle für die weitere Ausbauplanung des Landes haben können.

Es ist ein Privileg, Teil dieser spannenden und umfassenden Transformation zu sein,die Äthiopien nun bereits seit einigen Jahren durchlebt. Insbesondere auch der Besuch des Landes und der Austausch mit den Verantwortlichen vor Ort hat mir sehr nachhaltig vor Augen geführt, welch große Auswirkungen dieser Prozess fürdas Land und die Bevölkerung hat.“

Georg Ostermair, Gründer Decision Trees

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